Als ich den Raum betrete haben bereits einige ihre Matten
ausgerollt. Die schönsten Plätze sind natürlich schon belegt. Ja, auch in einem
fast quadratischer Raum in dem sich nichts anderes befindet als ein paar Decken
und „Props“ (Materialien zur Unterstützung der Positionen, die von Beginnern,
etwas „steiferen Kollegen“ ;-) , ambitionierten Yogis die gerade eine
Verletzung kurrieren oder aber auch für diejenigen, die heute gerade keinen
„ich geh jetz in die Dehnung bis ich mein Hüftgelenk ploppen hör“ Tag haben)
gibt es begehrte Plätze. Das wären zB jene Plätze mit schönem Fensterblick auf
die Frontrange der Rocky Mountains, denn auch wenn Yoga eine Zeit tiefen „In-Sich-Gehens“
sein soll, wer schielt schon nicht gerne immer wieder mal zwischendurch auf die
beeindruckenden Formationen der Flat Irons?! Dann gibt es die Plätze „im
Schatten“, also jene Plätze die nicht vom Licht der einfallenden Sonnenstrahlen
bedroht sind. Vinyasa Flows, wie sich der Stil nennt den wir jetzt gleich
fabrizieren werden, hat die Angewohnheit die Körpertemperatur und somit auch
die Schweißproduktion zu erhöhen. Das ist unangenehm. Erstens weil dabei das Mascara
verläuft, manche Shirts bilden unappetitlich aussehende Schweißflecken und
außerdem beginnt man auf seiner Matte hin und her zu flutschen. Im Yoga
flutscht man aber nicht. Man ist andächtig, bewegt sich grazil und atmet.
Punkt. Also, wer kann reserviert sich ein Schattenplätzchen um etwaiges
Flutschen zu vermeiden. Zu guter Letzt gibt es noch die goldene Mitte(nseite).
Die Mitte des Raumes erklärt sich von selbst, man ist gerade soweit hinter den
vorderen Reihen versteckt, dass der Lehrer nicht sieht wenn man in
Liegestützposition heimlich die Knie auf den Boden senkt weil man aufgrund
mangelnder Bauchdeckenspannung schon so im Hohlkreuz hängt, dass man kein
Physiotherapeut sein muss um zu wissen das da was schief läuft. Dennoch sichert
einem der Platz in der Mitte einen guten Ausblick auf die Lehrperson. Gerade
als „Ausländer“ hat man es oft gar nicht so leicht die teilweise schon in der
eigenen Muttersprache etwas verschrobenen Yogaausdrücke zu verstehen. Daher ist
es ratsam sich so zu positionieren, dass man zur Not auch nach vorne schielen
kann, um zu sehen in welche grandiose nächste Position sich der Yogalehrer
dreht und windet. Das entspricht zwar selten dem, zu dem der eigene Körper
fähig ist, aber es gibt zumindest eine Idee wo die Reise hingehen soll. Zurück
zur Raum Mitte(nseite). Die Seite ist einfach eine Safety- Zone. Man ist zwar
mittig aus oben genannten Gründen (von vorne nach hinten im Raum gesehen),
rutscht dann aber nach links oder rechts Richtung Wand. Geht es nur mir so,
oder hat sonst auch noch jemand das Gefühl das man irgendwie nicht unbedingt
der direkte Mittelpunkt der Gruppe sein will? Wie gesagt, als ich den Raum
betrete sind die begehrten Plätze bereits vergeben. Ich habe die Wahl zischen
direkt vorne, vor der Matte des Lehrers und einem kleinen Plätzchen in letzter
Reihe wobei zwei Yogis wohl ein bisschen rutschen müssen damit ich da noch
hinein passe. Da ich wenig Lust darauf habe bei jeder Vorwärtsbeuge mit meiner
Nase an der der Yogalehrerin zu streifen, wähle ich den Platz in letzter Reihe.
Als die zwei schon in tiefer Meditation versunkenen Yogis ein Stück rücken
müssen, sehen ich verhalten vorwurfsvolle Blicke. Verhalten deswegen weil man
als Yogi weiß, innerer und äußerer Frieden sind die Grundlage. Ich quetsche
mich in die Mitte wohlwissend, dass ich gerade inneren Frieden gestört habe.
Was solls denke ich mir, ich war ihnen ein guter Lehrer. Wohlig räkle ich die
steifen Glieder auf meiner Matte und nehme ein paar Haltungen ein von denen ich
weiß, dass sie mir guttun und mir helfen werden bereits ein bisschen flexibler
und geerdeter in die Stunde zu starten.
Es ist mittlerweile März. Fünf Monate sind bereits vergangen
seit Andi(y) und ich in die USA gezogen sind. Drei Monate sind vergangen, seit
ich mit der Yogalehererausbildung begonnen habe. Vergangenes Wochenende war das
dritte von sechs Intensivwochenenden, in denen wir nicht nur lernen uns zu
einer Brezel zu formen, sondern das auch noch mit „perfect Alignment“
(perfekter Haltung“) , Sanskrit Namen der Haltungen, Atemtechniken,
Meditationen, Mantren Singen, Yoga Geschichte und Philosophie,…. konfrontiert
werden. Die Liste von all dem was wir „noch nicht wissen und können“ scheint
unendlich und ich bekomme einen Vorgeschmack was damit gemeint ist wenn man
sagt Yoga ist eine lebenslange Reise. Yoga findet nicht nur auf der Matte
statt, sondern man nimmt es mit in den Alltag. Und hier beginnt die eigentliche
Reise. Mein Platz auf der Matte ist geschützt. Dort gibt es nur mich. Atmung,
Bewegungen fließen ineinander und werden zu einem Fluss aus „Sein“ im jetzigen
Moment. Und nicht einmal an diesem geschützten Ort, an dem es keine anderen
Ablenkungen gibt, ist es einfach diese Präsenz zu bewahren. Zu viele Gedanken,
Emotionen, …. Man lernt die Achtsamkeit immer und immer wieder zurückzubringen.
Sei es durch eine korrigierende Berührung des Lehrers, durch eine besonders
herausfordernde Haltung, eine tiefe Entspannung ein Spiel aus fließenden
Bewegungsübergängen. All das hilft gedanklich wieder präsent zu werden. Und
manchmal hilft es, sich einfach nur daran zu erinnern zu atmen. Auf dem Weg von
der Matte in den Alltag wird die neu gefunden Achtsamkeit für den gegenwärtigen
Moment etwas schlüpfrig. Man kann sich das etwa so wie ein Kaulquappenei
vorstellen (falls jemand sowas schon mal in der Hand gehabt hat) J Man glaubt nun hat man
es endlich und dann flutscht es einem wieder davon. Genauso geht es mir oft
wenn ich versuche gedanklich im Moment zu bleiben, die Aufmerksamkeit flutscht
allzu leicht davon, in Vergangenheit, Zukunft oder Tagträume. Themen wie
Anhaftung an Dinge und Loslassen, Entscheidungen bei denen man sich zu fragen
beginnt ob man sie aus Liebe oder aus Angst trifft und ein viel deutlicheres
Wahrnehmen von Gedanken und Gefühlen beginnen zu verwirren. Die Kunst dabei?
Gelassen und präsent zu bleiben. Nicht zu werten, anzunehmen was ist. Liebevoll
mit sich selbst umzugehen, zu vergeben, anderen und sich selbst. Wie das alles
geht? Fragt nicht mich, fragt die Yogis ;-) Aber ich gebe mein Bestes um es
herauszufinden und halt euch am Laufenden.
In Yogaraum hat sich Ruhe ausgebreitet. Manche atmen tief,
andere wirken so als hätten sie aufgehört zu atmen. Ich…atme noch. Ich atme
sogar recht entspannt und langsam. „Das ist gut.“, werte ich vor mich und merke
im selben Moment das ich schon wieder in die „Bewertungsfalle“ von Gut und
Schlecht getappt bin. Also, alles wieder zurück auf Anfang. Ich atme. Punkt.
Während ich noch in meine Atemgedanken versunken bin öffnet sich die Tür und
unsere Yogalehrerin schwebt herein. Nein, kein Tippfehler. Sie schwebt. Davon
bin ich felsenfest überzeugt. Die anderen haben das Schweben auch bemerkt und
plötzlich könnte man eine Stecknadel fallen hören. Unsere Yogalehrerin, ich
nenn sie mal Karen (bin mir nicht sicher ob man die Namen auch ändern sollte
wenn der Blog in einer anderen Sprache ist, aber ich machs halt mal ;-) ), ist
knappe 40 und sieht aus wie unverschämte 30. Ihre Haut ist makellos, die Figur
perfekt, die Bewegungen wie ein Reh und wenn sie lacht leuchten ihre Augen. Und
wartet…ich glaub ich seh sie wirklich leuchten…nein, nur das Sonnenlicht das
durchs Fenster fällt. Ja mei, man kann sich schon mal im Schwärmen verlieren.
Jedenfalls lässt sich unser „Reh“ auf seiner Yogamatte nieder und beginnt die
Stunde mit einer kurzen persönlichen Geschichte die sie in Verbindung mit
Yogalehren setzt. Danach wird
kurz meditiert. „Root through your sitting bones while you grow tall through
the crown of your head.“ (“Wurzle durch deine Sitzbeinhöcker während du
durch deinen Scheitel nach oben wächst.”) Ich wurzle und wachse und versuche
allen vorbeiziehenden Gedanken und Emotionen zu wiederstehen. Wir sind ca 20
die wurzeln und wachsen, die Klasse ist gut gefüllt. Unsere Yogagöttin windet
sich nun bereits im vorderen Teil des Raumes in die ersten Haltungen für diesen
Tag. Ich kann sie zwar nicht sehen aber ihre Stimme klingt bis in die
hintersten Winkel des Raumes. Atemfluss, Name der Haltung in Englisch und
Sanskrit sowie Korrekturen in der Haltung und fließende Überleitung zur
nächsten kommen so fließend und korrekt aus ihrem Mund als hätte sie ihr Leben
lang nichts anderes gesagt, dabei dreht und windet sie sich mit in die
Haltungen um zumindest zu Beginn der Klasse auch noch optische Anhaltspunkte
für die Neulinge zu bieten. Ich drehe und winde mit und versuche nebenbei alles
an englischen Anleitungen mit aufzusaugen was unsere „die kann doch nicht von
dieser Welt sein“ Yogalehrerin so von sich gibt. Dabei fällt mir wieder meine
„erste Klasse“ ein, die ich bei unserem letzten Yogawochenende angeleitet habe.
Die Anführungszeichen deshalb, weil die „Klasse“ nur 10 Minuten gedauert hat.
Nicht eben weil sie mir mittendrin den Hahn abgedreht haben, sondern weil jeder
nur 10 Minuten zur Verfügung hatte. Wohl um das Ego gewisser Auszubildenden in
Schach zu halten und vermutlich auch um die Leidtragenden zu schützen, die sich
als Versuchskaninchen in affenartigem Tempo in skurrile Haltungen quetschen.
Beginner tendieren grundsätzlich dazu zu schwierige, schnelle Sequenzen
anzuleiten, bei denen sie zumeist irgendwann über ihre eigenen Worte stolpern
und die Peak Position (meist wird die Klasse so angeleitet, dass auf eine „Haupt“körperhaltung
hingearbeitet wird) selber nicht korrekt ausführen können. Als Lehrer kann man
das natürlich wunderbar kaschieren indem man durch die Klasse schweift und so
tut als hätte man alle Hände voll zu tun seine Schützlinge zu korrigieren und
die schwersten Haltungen daher ohne Vorzuzeigen nur verbal anleitet. Das war
jetzt ein wenig zynisch ausgedrückt, aber als Beginner übernimmt man sich oft
gerne. Unser Rehlein jedenfalls zeigt jede Position perfekt vor, leitet an,
atmet. In meiner 10 Minuten Sequenz durfte ich in meiner Kleingruppe den Beginn
der Yogastunde einleiten. Das ging am Anfang ganz gut. Ich leitete mit einer
kurzen Geschichte und Meditation ein. Da sich dafür niemand bewegen musste war
auch nicht deutlich ersichtlich ob die Gruppe verstand was ich da so von mir
gab und da Yogalehrer in Ausbildung, und vermutlich auch danach, sehr geduldig
und fürsorglich sind ist es nicht ganz einfach ihre Gedanken von ihrer Mimik
abzulesen. Die Ernüchterung kam, als ich begann die Gruppe in die verschiedenen
Haltungen zu dirigieren, die zum Aufwärmen in meinen 10 Minuten noch Platz
hatten. In feinstem Schulenglisch nuschelte ich dahin: „Einatmen, Arme über den
Kopf in „Urdhva Hastasana“, Ausatmen, beugt euch nach vorne in „Ardha
Utthanasana“…oder war es doch nur „Uttanasana“ und welche Atmung dabei nochmal
Ein…? Aus…?, wurscht macht weiter, also nach hinten in Liegestützposition und
dabei Atem anhalten und dann runter auf den Boden und Ausatmen..wie wir haben
davor nicht eingeatmet?...dann atmet trotzdem aus, das geht schon irgendwie.
Und dann die rechte Hand zum linken Knie, den rechten Sitzbeinhöcker zur linken Ferse spannen, den Beckenboden
einsaugen, mit den Schulterblättern flattern und dabei die Stirn zum Nabel
ziehen….wie man dabei atmet? Was fragt ihr mich…Stirn zum Nabel hab ich gesagt!“
Ich brauch wohl nicht weiter ausführen wie das dann in der Gruppe aussah. Man
stelle sich den ganzen Monolog noch einmal in schlechtem Schulenglisch vor,
wobei ich davon ausgehe das ich manchmal, Wörter, Satzbau und Grammatik
verwechselt habe. Nicht mal der einzige Europäer aus unserer Gruppe scheint zu
verstehen was ich jetzt eigentlich will. Mit großen Augen schielt er fragend zu
mir hoch und ich blicke vorwurfsvoll auf ihn hinunter…zumindest aus
europäischem Kameradschaftssinn hätte er so tun können als hätte er verstanden
worauf ich hinaus will. Jedenfalls hat unsere Yogalehrerin kein Problem mit dem
Anleiten und unsere Klasse schnauft und biegt sich fleißig in die Richtungen
die sie vorgibt. Ich versuche alle Kommandos aufzusaugen, die sie so von sich
gibt und dabei nicht aufs Bewegen zu vergessen. In einem meiner schlauen Bücher
habe ich gelesen „Versuche die Ausrichtung der Haltungen deiner Atmung
anzupassen und nicht die Atmung in eine Haltung zu quetschen.“..oder so
ähnlich. Hierbei muss ich gestehen, dass ich schon ganz gut im Quetschen
geworden bin. Zugegebenermaßen war das das erste das sich seit Beginn meiner
Ausbildung deutlich weiterentwickelt hat. Sich von dieser „neu entwickelten
Fähigkeit“ der Atemquetschung trennen zu müssen erscheint mir nicht fair aber
ich muss den alten Yogis zugestehen das sie wohl wissen wovon sie reden, also
versuche ich meine Aufmerksamkeit zwischen Reh-Anleitungen und meiner Atmung
hin und her schwenken zu lassen und siehe da, die Bewegungen und Haltungen
fühlen sich natürlicher und nicht mehr so blockiert an. Innerlich beginne ich
zu jubeln, juhu ein Fortschritt. Als ich aufblicke bleibt mir das Jubeln im
Hals stecken. Verdammt, vor lautere innerem Monolog habe ich die letzte
Anleitung versäumt und sehe mich nun ca 20 Yogaschülern gegenüber die das
letzte Kommentar nicht überhört haben und sich wie angeleitet um 180 Grad
gedreht haben. Vor lauter peinlich vergesse ich zu atmen und beginne wieder
Atem zu quetschen. Alte Muster halt. Zusätzlich beginne ich mich auch noch zu
ärgern. Über mich selbst. Und dann ärgere ich mich darüber, dass ich mich
ärgere und dann fällt mir ein dass das dumm ist und ärgere mich noch mehr.
Unser Reh ärgert sich nicht, sie schwebt durch die Klasse, korrigiert ein wenig
dort, schiebt ein wenig da, flüstert ein wenig hier und dann ist sie bei mir.
Holt mich sanft aus der Haltung in die ich mich gequetscht habe, dreht dort ein
bisschen, zieht da ein bisschen und plötzlich ist es alles wieder ganz leicht.
Der Atem fließt, die Muskeln hören auf zu zittern und der Ärger…der ist
verflogen. Zurück bleibt ein inneres Lächeln darüber, dass es wohl noch ein
weiter Weg ist bis man den eigenen Mustern auf die Schliche kommt und weiß mit
ihnen umzugehen. Als wir uns nach der Endentspannung aufsetzen und unsere
Handflächen vor der Brust zueinander bringen um uns zu bedanken, bei unserem
Lehrer und uns selbst, um zu festigen dass wir unser Yoga von der Matte mit in
den Alltag nehmen wollen, um noch einmal bewusst still zu werden, innerlich und
äußerlich, bevor es wieder nach draußen geht, da spüre ich es noch immer,
dieses innere Lächeln. Und ich nehme mir vor es mit in den Alltag zu nehmen.
Den Kontakt zu diesem inneren Lächeln nicht zu verlieren bzw
immer wieder zu finden ist oft nicht leicht. Wir sind selbst unser größter
Kritiker. Manchmal hilft mir die Frage weiter: „Würdest du so mit deinem besten
Freund reden, wie du jetzt gerade mit dir selbst redest?“. Der Punkt ist doch
der, wie sollen wir ehrlich geduldig, verzeihend und liebevoll mit anderen
umgehen wenn wir es nicht einmal bei uns selbst können? Veränderung findet
immer zuerst in uns selbst statt und jede Veränderung wird leichter…mit einem
inneren Lächeln. Und so lächle ich das nächste Mal innerlich als ich mich
wieder dabei ertappe „den Atem in die Haltung zu quetschen“.